Die Unterschiede zwischen der Einzeltherapie und der Gruppenpsychotherapie lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:
   In der Einzeltherapie steht unendlich viel Platz, Zeit und Energie für den Aufbau einer soliden Vertrauensbeziehung zwischen zwei Menschen zur Verfügung. In der Gruppe gibt es, im Gegensatz zur Einzeltherapie, Raum für gruppeninterne Auseinandersetzungen um Interessenkonflikte, Rivalität, Eifersucht, Neid usw. Wo mehr Menschen sind, da gibt es mehr Meinungen und Gegensätze, die es auszugleichen und zu besprechen gilt. Die Gruppenmitglieder müssen lernen, sich ihren Platz zu nehmen, sich zu behaupten, sich durchzusetzen, sich auseinander zu setzen und sich abzugrenzen.
   Die Einzeltherapie ist ein sensibler Ort, an dem die menschlichen Beweggründe, Gefühle, Reaktionsweisen usw. differenziert analysiert und besprochen werden. Die Zweierbeziehung ist sowohl verlässlich als auch verletzlich. Sie ist aber schnell überfordert, wenn es um aggressive Auseinandersetzungen geht. Sie droht zu zerbrechen, wenn die Wut, die Angst und das Misstrauen zu gross sind und sich auf die Anwesenden direkt beziehen. In der Gruppe entwickeln sich zwischen den Mitgliedern tiefe emotionale Bindungen, die das Gruppengefüge stabilisieren und das therapeutische Bündnis stützen. Nicht selten kann der Abbruch einer Therapie nur deshalb verhindert werden, weil die Gruppenmitglieder bei starken Wutreaktionen den Kontakt untereinander nicht abreissen lassen. Insofern kann die Gruppe mehr Aggressionen aushalten als die Zweierbeziehung.
   In der Einzeltherapie kann der Klient nur auf den Therapeuten bzw. die Therapeutin übertragen. Dabei können sich beträchtliche gefühlsmässige Kollisionen ergeben, die nur durch das zeitliche Übertragungssplitting bewältigt werden können. Der Klient muss z.B. zuerst seinen Vater und später seine Mutter oder umgekehrt auf die gleiche Person übertragen. In der Gruppe kann der Klient seine komplexen Familien-Übertragungen als Ganzes auf einmal aktivieren, auf alle Gruppenmitglieder aufteilen und einer differenzierten Bearbeitung zugänglich machen.
   In der Gruppe kann eine Unzahl sozialer Fertigkeiten wie Entscheidungsfindung, Diskussionstechnik, Kompromissbildung, Gesprächsführung, Gruppenleitung usw. erprobt und eingeübt werden. Aus diesen Gründen ist die therapeutische Gruppe gleichzeitig eine umfassende "soziale Lebensschule".
   Das Erlebnis einer in sich geschlossenen Gruppe mit intakter Gruppengrenze und einem warmen konstruktiven Gruppenklima kann besonders für Menschen aus unvollständigen Familien zu einer heilenden, korrigierenden Erfahrung führen. Die Verinnerlichung der intakten Gruppengrenze zur Ich-Grenze und des emotionalen Gruppenganzen zu einem erfüllten Selbst kann die Menschen dazu befähigen, die Nähe zu den Mitmenschen besser auszuhalten und zugleich ermutigen, eine eigene Familiengruppe aufzubauen.
   Die Gruppenerfahrung kann, mehr noch als die einzeltherapeutische Beziehung, auf die gesellschaftlichen Strukturen generalisierend übertragen werden.
   Die Gruppe ist mehr als das einzeltherapeutische Setting ein sensibles Wahrnehmungsorgan für die Dichte bzw. Tiefe der gewachsenen psychischen Strukturen der einzelnen Gruppenmitglieder. Oberflächliche bzw. rationalisierende Stellungnahmen wirken in der Gruppe unerträglich langweilig, während die in den Gefühlen verankerten Aussagen fortgeschrittener Mitglieder als interessant, wohltuend und konstruktiv erlebt werden. Der Heilungsverlauf einzelner Gruppenteilnehmer ist so an derem sozialem Wahrnehmungsvermögen und an der emotionalen Tiefe ihrer Wortmeldungen zu verfolgen.
   Zudem kann zwischen den Menschen in der Therapiegruppe ein hypothetischer "familiendramatischer Dialog" in Gang gesetzt werden, der die Erfahrungs- bzw. Erkenntnismöglichkeiten fast ins Unermessliche steigert. Dieses familiendramatische Geschehen ist auch als sogenanntes "Spiegelungsphänomen" (HAUBL, LAMOTT, 1994) aus der Supervisionsarbeit bzw. aus der Arbeit mit "Balintgruppen" bekannt.
   Einen letzten Unterschied meine ich in der Prioritätensetzung der TherapeutInnen auszumachen. Der Einzeltherapeut bzw. die -therapeutin legt ihren Schwerpunkt in der Regel auf den Aufbau einer möglichst ungestörten und tiefen Vertrauensbeziehung zum Klienten. Im Gegensatz dazu liegt die Priorität beim Arbeiten in der therapeutischen Gruppe beim Umgang mit konstruktiver bzw. destruktiver Aggression und im Aufbau einer geschlossenen Gruppengrenze. Dabei kommen dem Lösen von Konflikten und der aggressiven Auseinandersetzung mit dem Therapeuten bzw. mit der Therapeutin eine grosse Bedeutung zu. In dieser Hinsicht ist der Gruppentherapeut bzw. die Gruppentherapeutin in der Regel weniger darauf bedacht, die Konflikthaftigkeit des Gruppengeschehens durch überwiegend vertrauenbildendes Arbeiten zu vermindern.