Diese Beispiele zeigen uns, dass sich in den religiösen Bildern allgemeine Muster, modellhafte Vorgänge, prozessorientierte Problemlösungen und typische unbewusste Grundkonflikte des allgemeinen gruppendynamischen Geschehens abbilden, d.h., dass sich in den religiösen Vorstellungen bzw. Ritualen typische gruppendynamische Figurationen in transformierter Form über viele Jahrhunderte erhalten haben. Die religiösen Bilder und Geschichten könnten so als sog. "Transfigurationen des gruppendynamischen Prozesses" aufgefasst werden, als "sprachfrei organisierte geronnene Spuren" (GEHM, 1995) grossgruppendynamischer Prozesse. Ich verwende den Begriff "Transfiguration" deshalb, weil die kultischen Handlungen Transformationen gruppendynamischer Konstellationen bzw. Figuren repräsentieren, die im religiösen Kult ihren verhaltensmässigen Ausdruck finden. Seit dem Bestehen menschlicher Gemeinschaften besteht in diesem Sinne das starke Bedürfnis, über gruppendynamische Vorgänge miteinander zu kommunizieren. Im gruppendynamischen Prozess sind es vor allem die Phasenübergänge, die mit starken Emotionen verbunden sind. Diese werden in der Regel nicht bewusst wahrgenommen und verlangen deshalb nach adäquater bildhafter Konkretisierung in Symbolen bzw. Ritualen.
Die Religionen könnten so mehrfach transformierte Spiegelungen gross- bzw. kleingruppendynamischer Vorgänge darstellen. Die "Wahrheit Gottes" wäre somit keine existentielle, sondern eine gruppendynamische! Es gäbe kein religiöses Mysterium, das wir nicht gruppendynamisch interpretieren könnten, und es sind gerade diese Mysterien, die uns helfen, die grosse gesellschaftliche Bedeutung der gruppendynamischen Vorgänge sichtbar und fühlbar zu machen.