Der Sport als Anreiz und Massenphänomen
Vielleicht spielt die Rivalität im menschlichen Verhalten und im Hinblick auf das
Zusammenleben der Menschen eine noch wenig bekannte wichtige Rolle. Ist es nicht
so, dass ihr in der Wirtschaft, in der Politik und im Sport eine bedeutende Funktion
zukommt? Sind denn ein sportlicher Wettkampf, ein Wahlkampf oder eine berufliche
Karriere ohne Rivalität überhaupt denkbar? Vielleicht haben die prächtigen
Wettkampfarenen, die kostspieligen Rennbahnen und luxuriösen Sportanlagen nicht
nur eine sportliche, sondern auch eine geheimnisvolle weitere Aufgabe zu erfüllen?
Vielleicht spielt die (konstruktive) Rivalität in vielen Institutionen eine bedeutungsvolle
Schlüsselrolle?
Das Rivalisieren läst, weil es mit konfliktreichen zwischenmenschlichen
Verstrickungen verbunden ist, nicht selten Schuldgefühle aus. Ist es möglicherweise
diese Schuld, die sich zu einer quälenden Kollektivschuld aufaddiert, einem
kollektiven Martyrium, das schwer auf den Seelen liegt und nach emotionaler
Läuterung ruft: Nach einer gesellschaftlichen Legitimation der Rivalität im Sport!
Nirgendwo lässt sich die Rivalität, der Neid, der Ehrgeiz so klar erkennen wie im
Sport. Der Sport zeigt Rivalität in reinster Form! Beim Sport steht in der Regel die
individuelle Leistung im Vordergrund. Mit dieser verbindet sich eine klare,
ungeschminkte und abgegrenzte Rivalität. Ungeschminkt deswegen, weil sich
niemand daran stösst, die Rivalität zu zeigen. Im Gegenteil, sie gilt, zusammen mit
dem "gesunden" Ehrgeiz, als notwendige Voraussetzung und Motor des Erfolges.
Hinter der Leistungsmotivation steht das starke Bedürfnis, sich ehrlich zu messen
und in gerechtem Wettkampf fair zu vergleichen.
Und wenn ein Gegner fehlt, kann eine Uhr oder ein raffinierter Computer den Gegner
ersetzen. Dann dient nicht die Leistung eines Rivalen als Bezugsgrösse, sondern die
zeitliche Vorgabe, die der Computer errechnet, oder die fiktive Figur, die der Rechner
konstruiert. Das bedeutet, dass Menschen, wenn Rivalen fehlen, technische Tricks
erfinden, um sie zu erschaffen.
Die Menschen spüren, dass Rivalität motiviert, dass sie Neugier und Anreiz schafft,
um Mehrleistung und mehr Anstrengung zu bewirken. Und dieser Ansporn steigert
den Umsatz und bereitet auch Lust. Aus Spiel wird Sport und der Sport wird zum
Spiel. Nicht ohne Grund erfreut sich ein spannendes Fussballspiel, ein dramatisches
Tennismatch oder ein kämpferisches Eishockeyspiel grösster Beliebtheit.
Sowohl die Clubmitglieder als auch die Zuschauer, die Fans oder Menschen ganzer
Städte, Regionen oder Länder identifizieren sich mit den Sportlern, freuen sich und
leiden mit, bei Siegen und Niederlagen, sammeln Bilder, Hemden, Wappen und
Standarten. Ihr Sieg ist auch unser Sieg und deren Niederlagen sind auch unsere
Niederlagen. Es ist, als könnte man durch andere hindurchleben, stellvertretend, und
das Prickeln und die Spannung der Rivalität gemeinsam geniessen. Vielleicht
bereitet Rivalisieren, wie sie im Sport erlebt werden kann, Lust? Vielleicht hat die
Rivalität im Sport eine andere Qualität als die quälenden, zwischenmenschlichen
Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz, als die bitteren, aufreibenden Erfahrungen in
gescheiterten Beziehungen, als die demütigenden Kämpfe um Ehre, Liebe und
Macht? Vielleicht ist es wichtig und gesund, die Rivalität im Sport, in einer sozial
sanktionierten und heiteren Form auszuleben und auszukosten, in einer Form, die
weniger verbindlich ist als der Arbeitsvertrag, weniger intim als die Partnerschaft und
weniger steinig als der Weg nach oben?
Vielleicht gibt es deshalb Institutionen, in denen Rivalität in streng ritualisierter Form
erlebt werden kann? Man denke an Fussballstadien, olympische Wettkampfarenen,
Eishockeyhallen und, vor allem in Amerika an die grandiosen Baseball- und
Rugbysportinszenierungen, wo sich emotionale Schleusen öffnen, wo die Gefühle
fliessen, wo sich Menschen in orgastischen Massenbewegungen, einem Fest der
Freude und der Superlative, ungehemmt austoben und verausgaben können!