WAS KANN ICH ÄNDERN, WIE KANN ICH MICH WEHREN?
Destruktive Rivalität - wie kann ich mich wehren?
In einem Umfeld, das von destruktiver Rivalität geprägt wird, kann man nicht überleben, nicht atmen, ohne Schaden zu nehmen. Es ist, als ob das tödliche Gift der Destruktivität sich langsam ausbreiten, in alle Ritzen eindringen und alles Leben zerstören würde. Aus diesen Gründen ist es wichtig, sollte man unverhofft in eine destruktive Gruppendynamik hineingeraten, dass man Überlegungen anstellt und Massnahmen ergreift, um die bedrohliche Situation zu ändern. Es ist nicht möglich, nichts zu unternehmen und schadlos zu bleiben!

Auf einer ersten Stufe kann man versuchen, die Quelle der destruktiven Rivalität zu orten, zu lokalisieren und zu analysieren. Von welcher Person, von welcher zwischenmenschlichen Konstellation auf welcher organisatorischen Position geht die destruktive Aktivität aus? Handelt es sich um eine vorgesetzte Person, um einen Menschen auf gleichgestellter Ebene oder um einen unterstellten Mitarbeiter? Inwiefern ist man von dieser Person direkt oder indirekt abhängig?
Meistens ist es schwierig, die verursachende Person klar zu erkennen. Jede Aktion hat bei allen anderen Menschen Gegenreaktionen zur Folge. Aus einfachen Aktionen entstehen komplizierte zwischenmenschliche Konfliktkonstellationen.
Es stellt sich oft die schwierige Aufgabe, zu erkennen, von wem die Spannungen ursprünglich ausgehen. Wer hat den ersten Stein geworfen? Wenn diese Frage geklärt ist, können Überlegungen angestellt werden, was man selber kurz- oder langfristig ändern soll. Kann ein offenes Gespräch, eine freundschaftliche Aussprache, eine dienstliche Unterredung oder eine harte Konfrontation Abhilfe schaffen?
Auf einer zweiten Stufe muss man handeln. Entweder gelingt es, sich zu wehren, oder aber man muss kollegiale bzw. fachkompetente Hilfe holen. Oftmals besteht im Rahmen der arbeitsrechtlichen Vereinbarungen, vor allem im Sozialbereich, die Möglichkeit, Supervision oder entsprechend andere interne bzw. externe Hilfen anzufordern. Vielleicht kann es vorübergehend auch nützlich sein, sich im Rahmen einer gezielten Intervention psychologisch beraten oder therapeutisch behandeln zu lassen.
Wenn diese Massnahmen fehlschlagen, bleibt drittens nur noch die innere bzw. äussere Emigration übrig. Vielleicht lassen es die organisatorischen Umstände zu, dass der persönliche Kontakt im Rahmen der bestehenden beruflichen bzw. persönlichen Beziehung auf ein Minimum reduziert oder ganz abgebrochen wird. Vielleicht bleiben aber nur die Kündigung, eine schmerzliche Trennung oder die entschiedene Scheidung übrig.

Die Erfahrungen zeigen, dass es in der Regel besser ist, destruktive Verstrickungen entschlossen zu lösen. Seien es berufsbezogene Arbeitsverhältnisse, Abhängigkeiten, Unvereinbarkeiten, die sich im nachhinein als destruktiv erweisen, seien es private Situationen, Freund- oder Partnerschaften, die sich in destruktiver Weise offenbaren, immer bringt das scheinbar geduldige Ausharren in unbefriedigenden Lebensumständen auf Dauer mehr Nach- als Vorteile. Meistens muss das Nichtändern der destruktiven Lebenssituation mit psychosomatischen Beschwerden, depressiven Verstimmungen, suizidalen Gedanken, Sinnlosigkeitsgefühlen und Lebenskrisen bezahlt werden. Eine Trennung kann zwar kurzfristig mehr Angst, Schmerz und Schrecken bedeuten, auf Dauer öffnet sie aber Räume für existenzielle Neuorientierung und persönliche Weiterentwicklung.

Die Rivalität zwischen Menschen lässt sich nicht wie auf Knopfdruck stoppen. Sie gehört zum menschlichen Charakter wie die Liebe, die Aggression, der Neid und die Eifersucht. Deswegen muss man lernen, mit rivalisierenden Menschen zusammen zu leben.
Anders verhält es sich mit der destruktiven Rivalität. Sie ist und macht krank. Zwar zeigen auch gesunde Menschen hin und wieder destruktive Züge. Es gibt Situationen, die sich weder lösen noch einfach aus der Welt schaffen lassen, die ein klares und spontanes Reagieren verlangen, das auch mal deftig, rücksichtslos und destruktiv ist, das Grenzen überschreitet. Diese Ausrutscher sollten aber Ausnahmen sein. Destruktive Rivalität bereitet Schmerzen und hinterlässt Wunden. Aus diesen Gründen ist es wichtig, Mittel und Wege zu finden, um destruktivem Rivalisieren in geeigneter Weise zu begegnen.
Die Verwandlung der destruktiven Rivalität in konstruktive Formen des Rivalisierens kann in erster Linie durch das ehrliche bzw. offene sich Eingestehen des eigenen destruktiven Rivalisierens und in schwereren Fällen durch Selbsterfahrung oder Psychotherapie gelingen.
Die Energien, die durch Rivalitätskämpfe gebunden werden und die deshalb in der zwischenmenschlichen Kommunikation fehlen, sind erheblich, besonders deshalb, weil die Rivalitätskonflikte meistens ausgesessen, ausgehalten und langfristig durchgestanden werden. Kaum jemand ist in der Lage, spontan zu reagieren. Über die schwelenden Konflikte lässt man üblicherweise Gras wachsen, bis deren Sprengkraft nachlässt. Das soziale Zusammenleben der Menschen in Ämtern, Schulen, Spitälern, Betrieben, Familien usw. könnte deshalb besser, effizienter bzw. friedlicher sein, wenn man ehrlicher über Rivalität reden und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen würde. Das offene Gespräch über Rivalität, wenn es überhaupt stattfindet, überwindet Gräben und befreit den Dialog. Es bahnt den Weg zu mehr Humanität, zu seelischer Gesundheit und besserer Lebensqualität. Das setzt aber voraus, dass die Tabuisierung der Rivalität durchbrochen wird.
Wie kann aber ein Tabu, das tief in den gesellschaftlichen Normen und Umgangsformen verankert ist, aufgelöst werden?
Im Allgemeinen fehlt die soziale Kompetenz, auf Rivalitätskonflikten adäquat zu reagieren. Die Menschen sind es nicht gewohnt, über Rivalität zu reden, und lieben es nicht, auf ihr Rivalisieren angesprochen zu werden. Sie haben nicht gelernt, deren Zeichen zu verstehen und ihren Charakter zu begreifen. Das Problem beginnt eben schon früher: Bei der Wahrnehmung.
Rivalität ist ein Begriff, den viele Menschen gar nicht kennen. Sie spüren zwar Neid, Missgunst und Eifersucht. Das sind Gefühle, die reizen, provozieren, Reaktionen auslösen, die gefühlsmässig fassbar und wirksam sind. Anders verhält es sich bei der Rivalität. Rivalität meint ein Verhalten, das abstrakter und weniger spürbar ist. Der erste Schritt zum Brechen des Tabus ist deshalb, dass man redet, über Rivalität spricht, dass man mit dem Finger auf sie zeigt, ihr nachfährt, ihre Linien nachzeichnet, die Aufmerksamkeit auf sie richtet und versucht, ihre Dynamik zu verstehen. Die Menschen müssen im Rahmen eines Lernprozesses sowohl auf das offene als auch auf das versteckte Rivalisieren sensibilisiert und neugierig werden. Wenn man annimmt, dass jeder Mensch, zu jeder Zeit und mit allen Anwesenden irgendwie kommuniziert und damit bewusst oder unbewusst in Beziehung steht, so kann man weiter daraus schliessen, dass zu dieser Beziehung immer auch das Rivalisieren gehört. Ist es nicht spannend, diese Gefühle zu entdecken, das eigene und fremde Rivalisieren, das sich Vergleichen und Messen, in seiner sensiblen Vernetzung zu verstehen? Kann es nicht nützlich sein, im Sinne einer Selbstbeobachtung, sich selbst zu erfahren, offen und aufmerksam, sich konsequenter zu analysieren und besser zu erkennen?
Vielleicht muss "Rivalität" erst in Mode kommen. Vielleicht muss der Begriff erst die Medien erobern, präsent werden, zur Diskussion anregen, mit Bildern versehen und an Beispielen konkretisiert werden, damit die Menschen lernen, mit ihm umzugehen, ihn anzuwenden und ihn wiederzuerkennen. Rivalität sollte handlicher, alltäglicher im Sprachgebrauch und gebräuchlicher im Wortschatz werden. Dazu braucht es Beispiele, eindrückliche Modelle, anhand von Szenen und Ereignissen. Hier könnten die Sonntagslektüre, die Boulevardpresse, die Filmindustrie etwas beitragen. Zwar spielt die Rivalität schon heute in vielen Unterhaltungsfilmen eine wichtige Rolle. Die Serien und Folgen sind gespickt mit Konflikten, in denen es um Rivalität, beissenden Neid, herzzerreissende Eifersucht und kalte Missgunst geht. Es sind aber immer nur die anderen, die Oberen, die Fernen, die Andersgearteten, die sich erlauben, so widerlich und ungeschminkt um Macht, um Ansehen und um die Ehre zu kämpfen. Die Einsicht, dass Rivalität in einem selber steckt, mit einem selber zu tun hat, perlt gewöhnlich herunter wie an einem Federkleid.
Der Ansatz könnte auch anderswo ansetzen: Bei den Abwehrmechanismen. Wenn man die Deckung lüftet, die Tarnung aufhebt, dann fehlen die Verstecke. Dann liegt die Absicht bloss. Man müsste also zeigen, dass die Menschen dazu neigen, das Rivalisieren zu verleugnen, zu verdrängen und zu beschönigen. Die Abwehr hat aber immer einen Zweck, eine das eigene "Ich" stabilisierende Funktion. Die Menschen wehren sich, weil sie befürchten, dass sie im Zustand der Entblössung, in ihrer Destruktivität erkannt, in ihren Motiven missverstanden und als Person abgelehnt werden. Das macht diesen Weg schwierig, weniger gangbar . Die Lösung muss anders lauten: Man muss daran erinnern, dass es verschiedene Formen des Rivalisierens gibt, dass alle Menschen rivalisieren und dass es gut und besser ist, es auf faire Weise zu tun. Die Unterscheidung zwischen konstruktiv, destruktiv und defizitär muss einsichtig und verständlich werden, muss Wege öffnen und Konflikte beseitigen.
Eine solche Aufklärung würde die Angst vermindern und mutiger machen, dazu zu stehen, dass man rivalisiert, sowohl auf gute als auch auf schlechte Weise, in konstruktivem und in destruktivem Sinne. Das Ergebnis ist Offenheit, mehr Toleranz, mehr Freiraum zum Handeln. Und eine solche Aufklärung kann, im Hinblick auf die Rivalität, mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen.