| 1. Schon in der Anfangsphase des gruppendynamischen Prozesses ist uns der Mechanismus der "Vergöttlichung" des Leiters bzw. der Leiterin begegnet. Aber auch ein "göttlicher" Leiter ist immer noch ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Eine weitere Steigerung des Bemühens um Sicherheit kann darin liegen, den Leiter seines "Menschseins" gänzlich zu entheben, ihn von seiner "Fehlerbehaftetheit" vollständig zu befreien, indem er vom konkreten zum geistigen Wesen erhoben wird (BION, 1971). Der Leiter einer in ihrer Existenz bedrohten Gruppe wird zum abstrakten "Gott" erhöht, was wir als stärkste Abwehr der Angst am Anfang einer Gruppenentwicklung verstanden haben. Aus dem "göttlichen Leiter" ist ein "leitender Gott" geworden. Der "Gott" steht für die fehlenden psychischen bzw. sozialen Strukturen. Je defizitärer die Strukturen, desto grösser bzw. stärker der imaginierte "Gott". Ein mächtiger und starker Gott verspricht den Menschen Halt und Hilfe in der Not und ist in seiner Gestalt ein Spiegel seiner Zeit. Zum omnipotenten "guten Allmächtigen", der nicht mehr bezweifelt werden darf, stellt sich in der Regel ein Sündenbock, auf den das "Schlechte" und "Böse" projiziert werden kann. Er wird entweder abgespalten (Teufel) oder in einer endlosen Folge rituell getötet (Opfer).
|
| 2. Die "Taufe" kleiner Kinder begriffen wir als symbolische Ablösung aus der Mutter-Kind-Symbiose und erinnerten uns an rituelle Handlungen schwarzer Eingeborener. Wir haben dieses Ritual als unbewusste Inszenierung des Eintritts in die Gruppe interpretiert, ganz im Sinne des "Loslassens, um sich einzulassen". |
| 3. Der "Messias", der Erlöser, wird gerufen und als "Gruppenkind" geboren, wenn die Gruppe in der Krise und die Not am grössten ist. Aus dem Menschen "Jesus" muss ein "Christus" werden. |
| 4. Der "Messias" wird "ans Kreuz geschlagen", als Akt der aggressiven Befreiung, wenn sich die Gruppe genügend strukturiert hat und den Erlöser nicht mehr braucht. Erst durch den Tod des mystifizierten "Messias" kann der Leiter "auferstehen" und als Mensch gesehen werden. Aus "Christus" kann wieder "Jesus" werden. |
| 5. Der Messias wurde in die "Heilige Familie" hineingeboren. Diese ist ein Abbild der Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern. Die Gemeinschaft der Gläubigen soll ein Hort der Sicherheit und Geborgenheit sein, die die Liebe und Zuwendung der Eltern repräsentiert. |
| 6. "Die zehn Gebote" begegneten uns beim Auftauchen der ersten Gruppennormen, die sich in Gemeinschaften zu Verhaltensregeln und Gesetzestexten weiterentwickeln. Normen können zur Normierung des Denkens und Glaubens ausufern, wenn die Einheit der Gruppe in Gefahr ist. Insofern ist der Kampf um den "rechten Glauben" weniger ein theologisches als ein gruppendynamisches Phänomen. |
| 7. In besondere Weise war uns das Schliessen der Gruppengrenze widerfahren. Das "Abendmahl" wird gefeiert und als Ritual verstanden, das dieses Schliessen manifestiert, und |
| 8. die in der Gruppe phantasierte "Verführung im Paradies" öffnete uns das Tor zum Erlebnis der Sexualität und Kreativität in der menschlichen Begegnung. Und indem wir vom "Baum der Erkenntnis" essen, verlieren wir die Unschuld des unwissenden Kindes, was uns zum erwachsenen Menschen emanzipiert. |
| 9. Der "Heilige Geist" erinnerte uns an die gewaltige Emotion beim Heraustreten der Gruppen aus der Regression. Sie war Ausgangspunkt für eine "explodierende" Kreativität, wie sie uns hin und wieder in plötzlichen überragenden Leistungen von wissenschaftlichen Teams, beruflichen bzw. sportlichen Gruppen begegnen. |
| 10. Schliesslich diente uns der "Teufel" als Sündenbock, die "Bibel" als "gruppendynamisches Protokoll", als Dokument des Ringens um Werte und Normen oder als Sammlung "grossgruppendynamischer Gruppenträume", und
| 11. der "Tempel" war uns Symbol für die Vollendung der Integration einer menschlichen Gemeinschaft.
| 12. Am Ende stand die Trennung, das Sterben und der Tod, deren Realität in der Regel gemieden wird, indem wir "im Himmel oder in der Hölle weiter leben" bzw. wiedergeboren werden ... |
| |